Stolz zeigt Sarjo Jatta, 26, das Dokument vor, das seine Ausbildung zum Altenpfleger bestätigt, und das mit besten Prüfungsergebnissen. Auch den Arbeitsvertrag hat er in der Tasche. Das war ein langer, aber auch wiederum schneller Weg, den der junge Mann aus Gambia dabei zurücklegte.

Ende 2016 als Asyl-Antragsteller angekommen, wurde er ein Jahr später der Stadt Ostfildern zugewiesen und in der Brunnwiesenstraße in Ruit einquartiert. Vor Ort unterrichtete Silvia Schuch als Ehrenamtliche ihn und andere in Deutsch, und empfahl ihn bald für den Deutsch-Migrantenkurs bei der Volkshochschule. Schuch war es auch, die ihn zu einer Ausbildung anregte, etwa in der Pflege.

Für ihn war das etwas ganz Neues. Vergleichbares gibt es in Gambia nicht, dort liegt die Verantwortung für die Alten ganz bei der Familie. Nach einem Probetag war auch für die Pflegedienstleiterin des Samariterstifts die Sache klar: „Sie kriegen den Ausbildungsplatz“.

In zwei Jahren, anfänglich noch mit gleichzeitigem Sprachunterricht, schaffte er den Abschluss zum Altenpflegehelfer, den zum Altenpfleger in den folgenden zwei Jahren. Klar, gewisse kulturelle Hürden galt es anfangs zu überwinden, sein Resümee fällt aber sehr klar aus: „Aber ja, es gefällt mir, es ist nicht nur Essen zu reichen und beim Waschen zu helfen. Pflege ist Teamarbeit, wir arbeiten mit verschiedenen Berufsgruppen zusammen wie Ärzte, Therapeuten und Apotheker, dadurch lernt man jeden Tag was Neues. Bei der Pflege selbst geht es um Vertrauen, Akzeptanz und Wertschätzung, darum, Menschen zu sehen wie sie sind, ohne sie ändern zu wollen“.

Jatta weiß auch, dass in Deutschland 39tausend Pflegekräfte fehlen. „Ich kam ans Ziel“. Nun möchte er demnächst Urlaub machen – seinen ersten überhaupt. Verdient hat er ihn.

 Aus dem Flüchtlingslager im Libanon kam Hatem Al Nasri als Zwölfjähriger nach Deutschland. In der Schule startete er nach ersten Anfangsschwierigkeiten durch. Gerade hat er am Otto-Hahn-Gymnasium (OHG) in Ostfildern das Abitur mit der Traumnote von 1,5 abgelegt. Inzwischen studiert er Physik in Karlsruhe .Alles war für mich faszinierend“. So beschreibt Hatem Al Nasri, heute 19 Jahre alt, seine ersten Eindrücke von der neuen Umgebung, in der er sich 2015 wiederfand. Sein Vater Tarek hatte im Jahr zuvor den Aufbruch aus dem Bürgerkriegsland Syrien gewagt, und war auf gefährlichem Weg nach Deutschland und Ostfildern gelangt. Er konnte seine Familie – Ehefrau und vier Kinder – nachholen. Noch Erinnerungen an die ersten Tage? Beeindruckend fand der Zwölfjährige vor allem die Stadtbahn. Lokomotiven hatte er wohl schon in Syrien gesehen, war aber noch nie mit einem Zug gefahren. Schon nach wenigen Tagen saß er, mit Kindern vieler Nationalitäten, in der Vorbereitungs-klasse. „Wirklich sehr interessant“, sagt Hatem, „man lernt andere Kulturen kennen; mein bester Freund damals war aus Thailand. Eine wichtige Hilfe war für Hatem und seine Familie eine Schulkollegin deren Mutter ebenfalls in der Flüchtlingshilfe aktiv war. „Sie hat mit uns einfach Deutsch gesprochen, aber es gab auch gemeinsame Unternehmungen, mal ins Kino oder auf den Weihnachtsmarkt.“

Im Schuljahr 2015/16 besuchte er abwechselnd die Vorbereitungsklasse und das Otto-Hahn-Gymnasium, dieses zunächst in den Fächern, für die man nicht so viel Deutsch brauchte, also Mathematik oder Englisch. Einen entscheidenden Impuls für den Wechsel zum OHG setzte die Lehrerin Britta Schade. Hatem hatte gezeigt, dass er gut lernen konnte; die Lehrerin der Vorbereitungsklasse befürwortete den Wechsel. Die ersten zwei Jahre waren schwierig, es gab einiges aufzuholen. „In der achten Klasse kam der Durchbruch“. Er konnte mehr und mehr mitreden bei den Schulkameraden und mitmachen. „Wichtig waren auch die Lehrer, ich hatte sehr sehr nette Lehrer“. Sein größter Dank gilt aber seinen Eltern. „Meine Eltern legen großen Wert auf Bildung. Ohne ihre Unterstützung – weniger praktisch als mental, durch ihre Haltung – würde ich es auch nicht schaffen. Sie haben immer daran geglaubt und haben gesagt, du schaffst das, egal was passiert.“
Sein Abizeugnis mit dem stolzen 1,5-Schnitt hat er in der Tasche. Für seine Studienwahl hat er sich eine Liste gemacht. „Was kann ich, wenn ich mich in meinen Träumen zurückziehe, wo kann ich mir eine Zukunft vorstellen und wo nicht“. Schließlich hat er sich für Physik entschieden, Studienort: Karlsruhe. Freimütig sagt er aber auch: „Eigentlich würde ich sogar Philosophie studieren, wenn es nicht darum ginge, im Leben auch Geld zu verdienen“.

Aufgewachsen ist Bana Abi Zaid (31) in Syrien in einer akademisch geprägten Familie. Eine gute Ausbildung war wichtig; sie interessierte sich nach dem Abitur für Anglistik, die Eltern rieten aber zu einem anderen Fach, weil Lehrer nicht gut verdienten. So wurde es Bauingenieurwesen, das sie bis 2014 in der Regelzeit studierte. Wie sollte es mit der Familie in dem seit 2011 andauernden Bürgerkrieg in ihrer Heimatstadt Idlib im Nordwesten Syriens weitergehen? Wie unsicher das Leben geworden war, zeigte das Schicksal ihres Vaters: der Kinderarzt wurde 2012 zu Hause abgeholt und anderntags erschossen aufgefunden; eine schreckliche Ohnmachtserfahrung. So beschloss die Familie 2015, dass Bana als Älteste von sechs Geschwistern mit einer jüngeren Schwester und einem (oder: dem) Bruder nach Deutschland aufbrechen sollte, schon mit der Überlegung, zu arbeiten oder weiter zu studieren. Über die Balkanroute schafften sie es. Ihr Kommentar – „die Flucht nach Deutschland ist ein Abenteuer“ -, ist dabei wohl eine sehr milde Umschreibung einer doch traumatischen Erfahrung.
Wie sind ihre Gefühle, wenn sie heute an Syrien denkt? Sie sei traurig, sehr traurig. Viele Verwandte seien noch in Idlib und das Leben dort sei weiterhin schlimm und gefährlich.
Seit 2020 wohnt sie – inzwischen auch verheiratet – in Ostfildern, und arbeitet in Stuttgart als Bauzeichnerin und Bauingenieurin. Gerade läuft ihre Bewerbung für ein Masterstudium an der Ostwestfälischen Hochschule.
Wir sprechen ein wenig über kulturelle Besonderheiten. Sie kocht daheim syrisch, isst bei der Arbeit deutsches Essen; kürzlich hatte ein Kollege sie zu selbst zubereiteten Maultaschen eingeladen. Wie zufrieden ist sie mit ihren sozialen Kontakten? „Wenn wir mehr Kontakt hätten, könnten wir unser Deutsch schneller verbessern, denke ich. Aber Deutsche haben nicht immer Zeit“, fügt sie bedauernd hinzu.
Wie sie es in Syrien gewohnt war, trägt sie auch in Deutschland ein Kopftuch. Gibt es deswegen Probleme? Wenn sie sich bewerbe, schicke sie ein Foto mit Kopftuch. Sie wolle, dass man ihre Identität respektiere. Sie merke schon, etwa in der Bahn, wie Leute anders auf sie blickten. Sie lächle dann und mache nichts. Die so schauten, hätten auch eine Meinung, die sie respektieren müsse.
Was würde sie anders machen, wenn sie neu starten könnte? Sie habe in den ersten beiden Jahren nur englisch gesprochen, weil sie darin gut war. Heute würde sie von Anfang an die neue Sprache lernen. Und welche Wünsche sollen sich in den nächsten zehn Jahren erfüllen? Es seien drei: das Masterstudium abschließen, die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben, und eine Familie gründen.

Aufgezeichnet von Thomas Hüsson-Berenz

Der Freundeskreis Asyl Ostfildern e.V. konnte ein neues Mitglied willkommen heißen: Mohammad Alkhader kam im April 2021 von sich aus auf den Freundeskreis zu mit der Idee, andere geflüchtete Menschen beispielsweise als Mentor zu unterstützen.

Ulla Zitzler, die Vorsitzende des Freundeskreises, findet das vorbildlich und würde sich freuen, wenn auch weitere Menschen seinem Beispiel folgen würden.

Der 25-Jährige lebt seit gut fünf Jahren in Deutschland. In seiner Heimatstadt Damaskus hatte er nach dem Abitur zwei Jahre an der Pädagogischen Hochschule studiert mit dem Ziel, Lehrer zu werden. Nach der Flucht über die Balkanroute kam er über Mannheim direkt nach Denkendorf, wo er in einer Wohngemeinschaft mit einem Deutschen und einem Iraner lebt. Er hat rasch Deutsch gelernt und bald eine Ausbildung zum Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizung- und Klimatechnik erfolgreich absolviert. Inzwischen arbeitet er bei der Fröschle + Mäntele GmbH in Ostfildern-Nellingen, die sich auf Kühlanlagenbau und Klimatechnik spezialisiert hat. Die Arbeit macht dem jungen Mann mit der optimistischen Ausstrahlung Freude. „Die Aufgaben sind sehr vielseitig; sie reichen von Klimatechnik im großen Maßstab für Firmen für Porsche oder Daimler bis zu Klimaanlagen für Privatleute“, berichtet er. Und die Atmosphäre unter den rund 20 Kollegen sei sehr gut.

Mohammad Alkhader ist sportlich, er geht gerne ins Sportstudio; Fußball und Joggen machen ihm Freude. Wenn er Zeit hat, liest er gerne – auch in deutscher Sprache. Und er ist – was bei seinem Beruf naheliegt – handwerklich geschickt. Er kann Mobiltelefone ebenso reparieren wie Fahrräder. Anderen geflüchteten Menschen hat er schon bei der Wohnungssuche geholfen, Möbel besorgt oder Termine bei Ämtern vereinbart. Und als neue Aufgabe wird er als Mentor im Rahmen des gemeinsamen Projekts der Stadt, der Bürgerstiftung und des Freundeskreises Asyl Ostfildern eine syrische Familie mit drei Kindern beim Integrationsprozess unterstützen.

Ich komme aus Gambia, es ist ein ganz kleines Land mit 2 Millionen Menschen. Nach Deutschland kam ich am 27.10.2015. In Karlsruhe habe ich Asyl beantragt. In Scharnhausen wohnte ich zuerst, und hatte dort meinen ersten Deutschkurs mit Silvia Schuch. Sie merkte, ich konnte nicht gut lesen und schreiben, und sie hat ein Buch gekauft. Darin erzählte eine junge Frau über sich selber: ich heiße Samia, ich bin 21 Jahre alt, ich komme aus Syrien, ich bin seit vier Jahren in Deutschland… So haben wir das Lesen angefangen. Das Alphabet habe ich erst hier gelernt. Silvia guckte, was möglich war, das war dann der A1 und A2-Kurs bei der Volkshochschule. Nach dem Kurs hat Silvia noch mit mir Lesen und Schreiben weiter gelernt. Im Unterricht war ich sehr fleißig, ich war immer da, im Unterrichtsraum machte ich alles sauber, und nach dem Unterricht genauso.

Heute mache ich eine Ausbildung als Maurer, bin im zweiten Lehrjahr. Meine Bewerbung schickte Silvia an verschiedene Firmen, Antwort bekam ich auch von Bau Aichele in Nellingen. Herr Aichele sagte: Jetzt machst Du erst einmal ein Praktikum, danach sprechen wir. Ich war in den zwei Wochen sehr fleißig, verstand mich gut mit den Kollegen. Herr Aichele war sehr zufrieden mit mir. Ich sagte, ja, ich bin auch zufrieden mit Ihnen. Mit Mathematik habe ich erst in der Berufsschule angefangen. Der Anfang war wirklich sehr schwer. Silvias Mann Wolfgang hat mir nach der Schule alles gezeigt, Millimeter, Dezimeter… Einmal in der Woche sehen wir uns, auch häufiger, wenn ich eine Klassenarbeit habe. Die Abschlussprüfung nach dem ersten Berufsschuljahr habe ich bestanden.

In Gambia war ich nur in einer Koranschule, für eine andere Schule war kein Geld da, wo ich hätte Mathematik und Englisch lernen können. In der Koranschule wurde nur im Koran gelesen und über die Bedeutung gesprochen: was ist Gott, worauf muss man achten, wenn man betet, wie betet man richtig, wie gibt man den Leuten Respekt. Mein Vater ist Farmer, was wir zuhause essen, baut er an. Ich arbeitete mit ihm auf dem Feld. Er hat mir viel gezeigt, ich habe viel mit ihm gemacht. Von Juli bis September ist Regenzeit, dann ist mehr freie Zeit und man versucht, etwas zu lernen. Ich ging dann in die Stadt Bansang und lernte Schweißen. Später konnte ich das nutzen, als ich in Libyen lebte und für einen Mann arbeitete, so konnte ich essen und trinken.

Ich spiele auch Fußball bei der Mannschaft TB Ruit. Wir spielen in der Kreisliga B, ich habe eine Offensiv-Position. Wegen dem Blockunterricht in Geislingen mit Übernachtung kann ich manchmal nicht trainieren und auch nicht in der Liga spielen. Wie ich in sechs Jahren leben will? Wenn ich meine Gesellenprüfung bestanden habe, habe ich Arbeit gefunden; dann suche ich eine eigene Wohnung, wo ich die Miete und alles selber bezahlen kann. Das ist mein erster Wunsch in Deutschland. Danach kann man überlegen und Neues entscheiden. Fußballspielen werde ich dann auch noch! Das habe ich in Gambia schon angefangen.

Aufgezeichnet von Thomas Hüsson-Berenz

Ich heiße Hussein Ibrahimi. Ich bin 17 Jahre alt und komme aus Afghanistan. Als ich nach Deutschland kam, mit 14, konnte ich gar kein Deutsch, nur etwas Englisch. Am Anfang war das sehr schwierig für uns. Meine Eltern können nicht Englisch, ich musste immer übersetzen, auch beim Arzt und anderen Terminen. Am Anfang wohnte wir in Esslingen, dann in Filderstadt. Da ging ich in die Vorbereitungsklasse, die auf den normalen Schulbesuch vorbereitet. Meine Mitschüler kamen aus der Türkei und Albanien, aber auch Afghanistan und Syrien. Ende 2017 zogen wir dann hierher nach Ostfildern in die Maybachstraße. Hier besuche ich jetzt die achte Klasse in der Schule im Park. Da bin ich der Älteste. In Afghanistan ging ich sechs Jahre in die Schule, und arbeitete danach zwei Jahre in einer Schreinerei in Herat. In meiner Klasse waren wir 40 Kinder. Gleich vier Kinder saßen jeweils auf einer der große Schulbänke. Die Lehrer dürfen schlagen. Ein paarmal habe ich Schläge bekommen von meinem Lehrer – mir gefällt die deutsche Schule besser.
Heute sind Mathe, Physik, Kunst und Sport meine Lieblingsfächer, in Deutsch bin ich ganz gut. Im Internet schaute ich nach Berufen, Buchhaltung hat mir gefallen. Ich will Buchhalter werden. Nach der Schule im Park will ich zwei Jahre zur John F. Kennedy-Schule in Esslingen-Zell und dann die Ausbildung machen. Im „Jumpers“ in Esslingen mache ich Fitness, und samstags und montags spiele ich Fußball in einem Flüchtlingsteam, neben dem Kubino. Ich bin zwar klein, versuche aber gut zu spielen. Kopfballtore gehen auch, ich kann gut springen!
In Afghanistan habe ich keine Familie mehr, alle sind im Iran. Wir hatten ein gutes Leben, aber Problem mit Taliban. Sie haben einen Onkel meines Vaters umgebracht, und auch einen Onkel meiner Mutter. Wenn wir da hätten bleiben müssen, hätten wir auch sterben können.

Wir könnten hier afghanisches Fernsehen sehn, wir machen das aber nicht wegen der Sprache. Das Fernsehen hat mir auch geholfen beim Deutschlernen und Sprechen. Ich denke nicht so oft über Afghanistan nach, wir leben hier unser eigenes Leben. Ob wir immer hier in Deutschland bleiben? Das ist unentschieden.

Aufgezeichnet von Thomas Hüsson-Berenz

Wer Ebrima Badgie (29) kennenlernt, dem fällt auf, wie gut er Deutsch spricht. Als er Ende 2015 als Asylantragsteller nach Deutschland kam und in das „Camp“ nach Ostfildern-Scharnhausen vermittelt wurde, lernte er eine Familie kennen, die ihn auch in ihr Haus einlud. Und weil sie nach dem Auszug einer Tochter Platz hatten, durfte er Anfang 2017 als Untermieter einziehen. Dadurch verbesserte sich sein Deutsch, „und ein bissle Schwäbisch lerne ich auch“, sagt er lachend. Nicht nur beim Wohnen machte sich der große Nutzen eines sozialen Netzwerks, das auch durch das Engagement des Freundeskreises Asyl zustande kam, bemerkbar, sondern auch bei seinem neuen Bildungsweg, den bald startete er mit Alphabetisierung und Deutschunterricht. In seiner Heimat Gambia hatte er wohl auch gelernt und gearbeitet, aber so, wie es wahrscheinlich landestypisch ist: Als Sechsjähriger nahm ihn ein Onkel unter seine Fittiche, der eine Autowerkstatt betrieb. Dort war er zuerst Laufbursche für die Mitarbeiter, und lernte als Jugendlicher schrittweise die technische Arbeit kennen; eine allgemeinbildende Schule besuchte er nicht. Mit den Kunden sprach man Englisch, so auch er. Von August 2016 an nahm er an der BBQ teil – Berufliche Bildung und Qualifizierung – , das Deutschlernen war Teil davon. Die Praxisstelle war wieder eine Autowerkstatt; er arbeitete nicht an neuen, stattdessen an alten Modellen wie Käfer und Ford-Mustang, seine handwerkliche Erfahrung und Geschicklichkeit wurde schnell sichtbar. 2017 konnte er an einer dreimonatigen Fortbildung teilnehmen, wieder zeigte sich, wie gut er lernen konnte. So wurde er für geeignet befunden für die „Einstiegsqualifizierung“ bei Daimler in Mettingen, inzwischen legte er auch die B1-Sprachprüfung ab. Die Gruppe in der Lehrwerkstatt, wo gebohrt, gedreht und gefräst wurde, war gemischt: Deutsche, EU-Bürger und Migranten oder Flüchtlinge wie er.
Badgie beschreibt sich selbst als offenen Menschen. Aber auch als jemand, der Hilfe brauchte und anfangs nicht an sich glaubte: „Ich brauchte Leute, die mir auf den Kopf hauten“. Seine Meinung sei gewesen, Daimler wolle immer nur die Besten von allen haben, da habe er doch keine Chance. Da hieß es: nimm die Gelegenheit, versuche es! Das habe er dann getan. Aber beim Thema Mathe, wo sollte er da mit dem Lernen beginnen? Okay, hieß es, er müsse jemand suchen, der ihm bei Mathe helfen könne. Den fand er über den Kontakt zu Gertrud Binder vom Freundeskreis. Auch sein schriftliches Deutsch verbessert er, immerhin muss er ein Berichtsheft schreiben. „Bevor ich das dem Meister vorlege, lasse ich andere das lesen und korrigieren, aber nicht inhaltlich, weil, die Fachbegriffe kenne nur ich“. Die Einstiegsqualifizierung liegt inzwischen hinter ihm, seit letzten September steckt er in der Ausbildung zum Fachpraktiker für Metalltechnik, das Halbjahreszeugnis mit 2,71, wie er stolz vermerkt. Was macht er wohl in zehn Jahren? Das sei eine gute Frage. Er wolle weiterhin hier leben. „Ich liebe diese Gesellschaft, ich bin zufrieden mit den Leuten, die hier wohnen, weil sie nett sind“. Das Asylverfahren sei aber noch nicht abgeschlossen, jetzt habe er eine Aufenthaltsgestattung. Wenn er nochmal vor Gericht müsse, könne er sagen, dass er die Ausbildungsduldung beantragen könne.
Auch bei der Post, erzählt er, war er mal als Praktikant. Eine Dame dort sagte zu ihm, er sei sehr jung, sie sei schon jahrelang da und wisse, wie es laufe. „Wenn du schnellschnell machst, wirst Du depressiv. Darum sage ich: no net hudle!“

Ammar Alhamoud stammt aus Dair Ezzor im Osten von Syrien. Gemeinsam mit seinen Eltern verließ der Mathematiklehrer die umkämpfte Stadt. Ihre Flucht führte zwei Jahre durch verschiedene Städte. „Du musst gehen!“, rieten ihm schließlich die Eltern, die eigentlich mit ihm nach Europa wollten. Doch sie waren nach Dair Ezzor zurückgekehrt und kamen zunächst aus der inzwischen vom IS eingeschlossenen Stadt nicht mehr heraus.
Die gefährlichsten Passagen der Flucht, erinnert er sich, waren die nachts zu Fuß zurückgelegte Strecke bis zur türkischen Grenze und die achtstündige Überfahrt mit 40 Leuten in einem kleinen Boot nach Griechenland. Von dort ging es weiter über Kroatien, Serbien und über Österreich bis nach Deutschland. Eigentlich war Schweden sein Ziel, aber er war von der Flucht so erschöpft und müde, dass er nicht mehr weiterwollte. In Karlsruhe stellte er seinen Asylantrag und lebte dann vier Monate in Mannheim. Diese Zeit bezeichnet er heute als seine „bisher beste Zeit in Deutschland“. Es gab ehrenamtlichen Deutschunterricht; er lernte viele Menschen kennen, machte neue Erfahrungen. Gemeinsam mit einem Freund ging er täglich in eine städtische Bibliothek, um die deutsche Sprache systematisch zu lernen. Dies zahlte sich aus: Innerhalb von neun Monaten schaffte er – inzwischen in Murrhardt in einem Container untergebracht – auf Anhieb nach einem Intensivkurs die TestDaF-Prüfung, die Voraussetzung für ein Hochschulstudium.
In Syrien hatte Ammar Alhamoud nach seinem Mathematikstudium mehrere Jahre als Mathematiklehrer an Gymnasien und Grundschulen gearbeitet. Ein pädagogisches Zusatzstudium konnte er wegen des Krieges nicht abschließen. Seine Bewerbungen an mehreren Hochschulen in Stuttgart, Tübingen und Esslingen für ein Bachelorstudium in Informatik waren erfolgreich. Doch nun stellte sich ein finanzielles Problem: Als Geflüchteter wäre er berechtigt, nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BaföG) unterstützt zu werden. Doch man teilte ihm mit, dass sein Bachelorabschluss in Syrien im Fach Mathematik als Erststudium betrachtet würde und er nicht gefördert werden könne. Und dies, obwohl sein syrischer Abschluss in Deutschland nicht als berufsqualifizierend anerkannt wurde. Inzwischen denkt der 31jährige zweigleisig. Er hat sich für Stipendium an der Hochschule für Technik in Stuttgart beworben. Im Erfolgsfall würde er 300 Euro monatlich und ein kostenloses Zimmer erhalten. Zudem hat er einen Ausbildungsplatz für eine dreijährige Ausbildung zum staatlich geprüften Techniker am Berufskolleg Informatik. Seit seiner Kindheit zählen Informatik, Progammieren und Grafik Design zu seinen Leidenschaften, berichtet er. Aber auch hier stellt sich das Problem der Finanzierung für das erste Jahr. Er tendiert dazu, erst die Ausbildung zu machen, dann zu arbeiten und schließlich den Master in Mathematik zu machen.
„Lernen und auch Lehren macht mir Freude“, sagt er. Um seine Deutschkenntnisse zu verbessern, liest er Bücher in deutscher Sprache. Seit acht Monaten in Ostfildern lebend, übernimmt er Verantwortung: Er arbeitet im Dolmetscher-Pool der Stadt mit und gibt im Rahmen des gemeinsamen Mentoring-Projekts der Bürgerstiftung, des Freundeskreises Asyl und der Stadt einem jungen Gambier Nachhilfe, der eine Ausbildung als Lagerlogistiker absolviert. Ende Juli 2018 hat Ammar Alhamoud einen Youtube-Kanal „Mathe für Araber“ online gestellt, in dem er Mathematikunterricht auf Deutsch anbietet. Mehr dazu unter https://www.youtube.com/channel/UCJ3gqMNlcHMhuULs0o2KMmQ.

Den Tag weiß Mehdi Fallahi genau, an dem er in Deutschland ankam, es war der 18. Januar 2016. Anstrengende, mitunter gefahrvolle Tage und Wochen lagen hinter ihm, anstrengende Monate – anstrengend aber auf andere Weise – lagen vor ihm.
Im Westiran geboren, wuchs er in Teheran auf. Um Flugzeugmechanik zu studieren, musste er einen Auswahltest bestehen, genannt „Konkur“ – wie „Konkurrenz“. Er bestand die harte Prüfung. Anschließend arbeitete er einige Monate im Beruf, dann begannen die Probleme, die, soviel deutet er an, mit den politisch-religiösen Verhältnissen im Iran zu tun haben. Zum Schutz seiner Angehörigen möchte er darauf nicht näher eingehen. Entscheidend für sein Weggehen war: „Ich musste das machen, für mein Leben, um weiter leben zu können“. Deutschland war dabei ausdrücklich nicht sein Ziel. Das war Istanbul. Sein jüngerer Bruder Masoud war schon dort; er war im Besitz eines Reisepasses. Anders als Mehdi, der, auch als Folge seiner politischen Schwierigkeiten, keinen erhielt. Darum zog er zu Fuß los und überquerte im Gebirge bei knietiefem Schnee und Eiseskälte in einer kleinen Gruppe die iranisch-türkische Grenze. „Es war schwer, zwei-, dreimal habe ich den Tod auf meinem Gesicht gesehen“. Er hatte keinerlei Papiere mit, deswegen waren die vielen Kontrollen eine ständige Bedrohung. Einmal hatte er großes Glück: ein Beamter kontrollierte ihn zuerst nach Waffen, die er in seinen Socken vermutete. Tatsächlich trug er dort zu seinem Schutz ein kleines Messer, das er aber kurz vorher nach einem Tipp dort hervorgeholt und in seinem Rucksack verstaut hatte. Bevor der Beamte nach seinen Papieren fragen konnte, wurde dieser weggerufen – und er kam auf Fallahi nicht mehr zurück.
In Istanbul konnte er heimlich eine Nacht beim Bruder im Hostel bleiben. Er suchte nach Arbeit, übernachtete auf der Straße. Er hatte erheblich an Gewicht verloren. Ein Mann sah ihn, sprach ihn an: ob er nach Griechenland wolle. Der Mann, ein Kurde, fand für ihn einen Platz. In Athen bekam er Ersatzpapiere. Erste Station in Deutschland war Bayreuth, weitere Pforzheim, Heidelberg und schließlich Ostfildern. In den ersten Monaten, von Februar 2016 an, bekam er viel Unterstützung von seinem Betreuer Rolf Schank, und er startete mit dem Deutschlernen bei einem ehrenamtlichen Kurs. „Die Leute haben sehr geholfen, waren sehr freundlich, mit einem Lächeln, das war für mich super“ Auch die Verständigung mit anderen Flüchtlingen aus Syrien oder Irak gelang gut, „wir waren zufrieden zusammen“. Belastend war es aber, ohne Privatheit in einem Raum mit 15 Leuten zu schlafen. Im September des Jahres startete sein „ordentlicher“ Unterricht. „Am Anfang sprach ich auch viel Englisch. Ich habe mir nicht vorstellen können, je einen Tag auf deutsch zu sprechen ! Sogar das Zählen von eins bis zehn war schwer!“, erinnert er sich. Die Prüfungen bestand er freilich auf Anhieb. „Ich kann gut lernen. Ich muss nur an einem Kurs teilnehmen. Wenn ich einen Tag vor der Prüfung das Gelernte noch einmal durchlese, genügt das“. Im Integrationskurs machte er sich vertrauter mit dem Leben in Deutschland, mit seiner Geschichte, Politik, Geographie. Inzwischen auch Führerscheinbesitzer, kann er sich etwas Geld als Pizzaausfahrer verdienen, das Geld wird „natürlich“ als Einnahme mit der Hilfe vom Landratsamt verrechnet.
Rolf Schank war nicht der Einzige, der für ihn wichtig war. Auch eine Bekannte vom Krankenhaus sprach sehr viel mit ihm, so hatte er eine dauernde praktische Übung beim Spracherwerb. Die Beschäftigung mit dem christlichen Glauben, der schon im Iran für ihn ein Thema war, vertiefte er hier; inzwischen ist er getauft und aktiv in der örtlichen Kirchengemeinde. Ja, den Iran habe er im Herzen, „ich kann aber ebenso in Deutschland leben und mich integrieren wie jeder andere, der auch hier wohnt. Ich bin froh, hier zu leben“.
Im Moment wartet er noch auf die Ausbildungsanerkennung durch die IHK, würde dann gerne als Flugzeugtechniker arbeiten oder vielleicht auch noch ein Studium aufnehmen, Luft- und Raumfahrttechnik an der Universität Stuttgart oder Fahrzeugtechnik in Esslingen. Allerdings ist sein Asylverfahren noch nicht abschließend entschieden. Anders als sein Bruder, der auch in Ostfildern lebt, ist er noch nicht anerkannt. Unterstützt vom Rechtsanwalt, klagte er gegen die ablehnende Verfügung und hofft auf einen positiven Ausgang.

In Pakistan kümmert man sich nicht so um alte Menschen wie in Deutschland. Altenheime gibt es kaum. „Vielleicht kann ich später einmal dazu beitragen, in meinem Heimatort Rahim Yar Khan nahe der indischen Grenze ein Haus für alte Menschen aufzubauen“, sagt Azhar Mohammed. Der 27jährige erlernt seit Oktober 2016 im Samariterstift im Nachbarschaftshaus im Scharnhauser Park den Beruf des Altenpflegers. „Die Arbeit macht mir Freude; die Leute sind sehr aufgeschlossen“, erzählt er. Gemeinsam mit erfahrenen Kollegen betreut er 30 Menschen und macht auch Hausbesuche. Parallel dazu besucht er die Altenpflegeschule Leben&Wohnen in Vaihingen.

Eigentlich ist er Industrieelektroniker. In diesem Beruf hat er einige Jahre in Lahore gearbeitet, bis er sich auf den Weg nach Libyen machte. „Die drei Monate dort waren schwierig“, erzählt er. Versprechungen über Arbeitsmöglichkeiten erwiesen sich als falsch. So verdiente er Geld an einer Tankstelle in Misrata; immer wieder gab es Raubüberfälle. Schließlich entschloss er sich, den gefährlichen Weg mit dem Boot nach Europa zu wagen. „Eigentlich hatte ich keine Ahnung von Europa und Deutschland, nur ein wenig über Fußball“, berichtet er. Schließlich kam er nach Stationen in Mannheim und Karlsruhe im November 2015 nach Ostfildern.

Dort lernte er seinen Mentor Marco Wendel kennen und nutzte mit Unterstützung von Sonja Neubrand die DATwifibox, um Deutsch zu lernen. Die Idee mit der Ausbildung als Altenpfleger gab ihm ein Freund. „Die Sprache lernen, die Gesetze achten und dann die Ausbildung beginnen, lautete sein Rat“, erzählt Azhar.

Inzwischen fühlt er sich gut angekommen. „Die Menschen hier sind sehr freundlich und hilfsbereit, haben immer ein Lächeln“, betont er; auch die Toleranz für die verschiedenen Religionen gefällt ihm gut. Allerdings gab es auch den einen oder anderen Kulturschock. So hatte er anfangs Schwierigkeiten mit der Freizügigkeit, mit der Paare sich in der Öffentlichkeit küssen und er wundert sich noch heute darüber, wie rasch Ehepaare sich wieder trennen. Über ein Erlebnis muss er heute selbst schmunzeln. Er wollte – damals konnte er noch nicht viel Deutsch – eine Geburtstagskarte für einen Freund kaufen. Seine Wahl fiel auf eine Karte mit weißen Blumen. Er zahlte und ging. Zum Glück hatte die Verkäuferin bemerkt, dass da etwas nicht passte. Sie rief ihn zurück und erklärte ihm, dass er gerade eine Trauerkarte gekauft hatte…

EnayatullahSupahi-2000Ich möchte gerne mein Studium in Deutschland fortsetzen“, sagt Enayatullah Supahi in perfektem Englisch. Ein Jahr hat er in Indien Informatik studiert, dann Betriebswirtschaft und die Landessprache Dari an der Universität Kabul und war als Mitglied des nationalen Taekwando-Teams sportlich erfolgreich. „Doch auch Kabul ist nicht mehr sicher“, erzählt er. 45 Tage war der 21-Jährige Afghane nach Deutschland unterwegs. Hier wurde er von einer Unterkunft in die andere verlegt: Er war in Schweinfurt, Karlsruhe, Aachen, Heidelberg und ist seit Ende November 2015 nun in der Blumenhalle. Nachdem anfängliche Probleme gelöst werden konnten, fühlt er sich dort sehr wohl. „Ich bin froh, hier zu sein“, betont er, „die Menschen sind alle sehr freundlich und helfen uns“. Besonders freut er sich über neue Freundschaften wie mit Johanna Steidle. Auch er hilft: Er dolmetscht in seiner Heimatsprache Dari im Stadthaus oder bei Arztbesuchen und bringt einer Gruppe von acht Analphabeten aus der Blumenhalle Lesen und Schreiben bei. Er selbst profitiert vom ehrenamtlichen Deutschunterricht und hebt hervor, die Helfer des Freundeskreises und die Nachbarn seine „wie eine Familie“. Ein besonders Lob hat er für Marcela Ulloa, die gemeinsam mit Malte Eckert die Blumenhalle koordiniert: „Sie ist wie eine Mutter für uns!“

Ich will in Deutschland so leben wie in Syrien, bevor der Krieg kam“, sagt Sipan Mohammad, der seit Mitte Februar 2015 in Ostfildern lebt.

Sipan„Ich möchte studieren“, betont er in fast akzentfreiem Deutsch. Der 19-jährige Syrer hätte in Aleppo noch ein halbes Jahr bis zur Hochschulreife gehabt, als seine Eltern ihn in das etwa 60 Kilometer entfernte Afrin zurückriefen. In Aleppo war es zu gefährlich geworden. Doch auch in Afrin konnte er nicht bleiben. Über ein halbes Jahr war er über die Türkei, Griechenland und die Ostbalkanroute auf der Flucht, über weite Strecken zu Fuß. In Ungarn wurde er gezwungen, seinen Fingerabdruck abzugeben. Dies macht ihm heute – obwohl die so genannte Dublin-Regelung ausgesetzt ist – Probleme: Er war von der Abschiebung bedroht und erhält nur befristete Duldungen. Doch er besucht die Friedrich-Ebert-Berufsschule in Esslingen; nach dem Abschluss dort sind es noch zwei Jahre bis zum Abitur. Sipan Mohammad spricht neben Arabisch auch Kurdisch, Türkisch und Englisch, verbessert sein Deutsch und er ist ein begabter Musiker, ob an der Gitarre oder am Klavier. Der junge Mann wird – vorausgesetzt er wird als Flüchtling anerkannt – seinen Weg in Deutschland machen.

Bericht in der Stadtrundschau Ostfildern vom 8.10.2015  –> lesen

Bericht in der Stadtrundschau Ostfildern vom 22.10.2015  –> lesen