Portraits

Hier stellen sich in lockerer Folge Mitglieder des Freundeskreises vor, erzählen über Ihre Motivation und über Ihre beruflichen und privaten Hintergründe.

 

Susanne Lechler

Wer sich eine kleine Weile mit Susanne Lechler (62) unterhält, die seit 2015 in der Flüchtlingshilfe aktiv ist, merkt, dass sie eine Langzeitunterstützerin ist, ihre Hilfsbereitschaft keine Flamme, sondern ein Dauerfeuer. „Du kannst nicht aufhören, wenn Du mal angefangen hast, wenn Du die Leute kennst. Die sich ja auch drauf verlassen und vertrauen. Dieses Vertrauen kannst du nicht enttäuschen, kannst nicht sagen, Du hast jetzt keine Lust oder Zeit mehr.“

Ausführlich kann sie über das komplexe und komplizierte Ausländerrecht referieren – und sich auch echauffieren. Scharf kritisiert sie etwa die Auflagen, die Eritreern bei der Passbeschaffung gemacht werden. Und sie konstatiert: „Das ist eine Doppelmoral von Deutschland: man kann nicht auf der einen Seite sagen, wir unterstützen keine Diktaturen und menschenverachtenden Regime, und dann sollen die eritreischen Flüchtling auf ihre Botschaft in Berlin und den Pass beantragen.“
Lechler ist ein politischer Mensch und scheut sich auch nicht, sich öffentlich mit dem Ministerpräsidenten auseinanderzusetzen. „Mit Innenminister Strobel habe ich mich auch schon gestritten. Ich habe ihm gesagt, er kennt seine Gesetze nicht“. Nicht verwunderlich, dass Lechler auch schon bei Attac war; deren Leitspruch: „Eine andere Welt ist möglich“.

Jemand habe das, was sie tue, mal als „Lebensberatung“ bezeichnet. „Also, es ist immer was. Die Probleme haben sich dabei über die Jahre hinweg geändert, das ist klar. Deutschunterricht war ganz wichtig, heute geht es um Ausbildungen, Arbeitsplatz, Nachhilfe, im November hat ein Anlagenbauer-Azubi Prüfung, wir machen im Moment seine Präsentation für seine Abschlussprüfung. Heute war ich mit jemand aus Nigeria WG-Zimmer besichtigen, ein anderer hat eine Krankmeldung vom Arzt gebraucht, nachdem er sie mitgewaschen hatte, ja. Vor paar Wochen war ich mit einigen am Bodensee; rauskommen, und sich angenommen fühlen, sag ich mal. Manchmal auch musst Du nur da sein. Viele kommen nur einfach und wollen ihren Frust ablassen. Bei den Eritreern kommt erschwerend der aktuelle Krieg hinzu, jeder hat Angst um seine Eltern und Familie. Das sind alles junge Kerle, die ihre Eltern daheim gelassen haben – und die auch vermissen. Manche erzählen irgendwann auch von den Erlebnissen, die sie auf dem Weg hatten. So in Richtung Trauma, was du bei vielen ja gar nicht merkst“.

Aber natürlich gelingt auch nicht alles. „Über die Jahre ist immer mal jemand dabei, wo es einfach nicht funktioniert. Da kannst du sagen und machen was du willst: es geht nicht. Man versucht ja immer, einen Weg zu zeigen. Und vor allem, es ihm auch so zu erklären, dass derjenige selber entscheiden kann, will ich das oder will ich nicht. Das ist in meinen Augen ganz wichtig.“

 

Katharina Piepho

Kinder begleitet Katharina Piepho schon seit neun Jahren. Über ihre eigenen Kinder war sie zur Sprachhilfe gekommen. Ihr aus Thailand stammender Sohn lernte erst mit vier Jahren Deutsch. Durch ihn lernte sie viele Familien kennen, deren Kinder Unterstützung mit der deutschen Sprache brauchten und begann, sich als ehrenamtliche Sprachhelferin an der Grundschule zu engagieren. Seither ist sie dabei geblieben und unterstützt seit 2016 im Rahmen des Mentoring-Projekts der Bürgerstiftung, der Stadt und des Freundeskreises Asyl Ostfildern Grundschulkinder aus Eritrea, Syrien und Pakistan. Zur Zeit sind es vier Kinder der Kemnater Pfingstweideschule, denen sie beim Deutschlernen und den Hausaufgaben hilft. „Zwei weitere kommen auch einfach mal zum Spielen oder zum Reden“, berichtet sie; „man muss eine Beziehung aufbauen, um auch mal streng sein zu können“. Wie gut das funktionieren kann, schildert sie am Beispiel eines elfjährigen Mädchens, das Probleme mit dem Tag-Nacht-Rhythmus hatte: Nach ein paar Ermahnungen von ihr rief es täglich pünktlich um acht Uhr morgens an, um die anstehenden Aufgaben durchzusprechen. Inzwischen hat sich auch ihr Rhythmus wieder eingespielt.
Wie sehr gerade Grundschulkinder unter der Pandemie und den damit verbundenen Einschränkungen leiden, hat sie hautnah mitbekommen: „Im ersten Lockdown haben manche Kinder gar nichts gemacht und fielen ganz schnell ab.“ Sie hat dann geholfen, Versäumtes nachzuholen und wieder Anschluss zu finden. „Als im Dezember 2020 die Schulen wieder geschlossen wurden, hatten die Kinder echt Sorge“, erzählt sie. Wichtig sind sichere Räume wie in der Kirche oder dem Raum des Freundeskreises Asyl in der Hagäckerstraße, in denen sie mit den Kindern unter Einhaltung der Coronaregeln arbeiten kann. Nur online in Kontakt zu sein funktioniert in diesem Alter oft nicht, ist ihre Erfahrung. „Und Vernetzung ist wichtig“, betont sie: Mit der Schulsozialarbeiterin oder der Kollegin des Sozialen Dienstes der Stadt. Dies gilt auch für das Mentoring-Projekt: „Es ist toll, dass man eingebunden ist, sich austauschen kann und es Fortbildungen gibt“, betont Katharina Piepho.

 

Sonja Neubrand

Begonnen hat Sonja Neubrands Engagement für Geflüchtete mit der DAT Wifibox im Scharnhauser Park. Ende 2015 hatte die Deutsche Automobil Treuhand GmbH (DAT) dem Freundeskreis Asyl Ostfildern drei Container mit Computerausstattung und Internetanschluss zur Verfügung gestellt. Bis zum Ende des Projekts im September 2017 hat Sonja Neubrand gemeinsam mit weiteren Engagierten Geflüchtete beim Deutschlernen sowie bei Fragen des Asylverfahrens, bei Alltagsthemen sowie Bewerbungen und Hausaufgaben unterstützt. So wurde sie vor allem für junge Männer aus Afghanistan zu einer wichtigen Vertrauensperson. Zu zehn der jungen Leute, aus denen inzwischen erwachsene Männer geworden sind, hat sie weiterhin Kontakt. Und vier von ihnen hat sie als Mentorin im Rahmen des gemeinsamen Mentoring-Projekts der Bürgerstiftung, der Stadt und des Freundeskreises Asyl begleitet. „Individualisierte Begleitung ist sehr wichtig“, erzählt sie, „einer lernt sehr schnell Deutsch, andere finden mit ihrer Hilfe rasch einen Job oder eine Wohnung“. Unterstützung war oft bei Behördenbriefen angesagt, deren Formulierungen auch deutschen Muttersprachlern zu schaffen machen können. Beim Umgang mit Behörden war Sonja Neubrand ausdauernd. Alle zehn Afghanen haben mit ihrer Hilfe Asyl- und Klageverfahren erfolgreich durchgestanden und inzwischen über Ausbildungs- oder Beschäftigungsduldung, Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder ein Abschiebeverbot einen Aufenthaltsstatus. Inzwischen stehen andere Themen im Mittelpunkt: Familiengründung, Heirat und Wohnungssuche. Die Männer sind angekommen.

 

Sabine und Ingo Schmithuisen

„Geschichte erkläre ich gerne am Beispiel von Schlägereien auf dem Schulhof“, erzählt die Mentorin Sabine Schmithuisen (50). Seit 2016 ist sie gemeinsam mit ihrem Mann Ingo (49) im Mentoring-Programm aktiv. Bereits als 13-Jährige hatte sie begonnen, Nachhilfe zu geben, zunächst in Englisch, dann in Mathe und weiteren Fächern. „Mir sind die Leute immer zugelaufen“. Ähnlich läuft es auch beim Mentoring-Programm*) der Bürgerstiftung, der Stadt und des Freundeskreises Asyl Ostfildern. Seit die Schmithuisens sich auf eine Suchanzeige in der Stadtrundschau gemeldet haben, haben rund 20 Geflüchtete mit ihrer Unterstützung ihren Weg in die Gesellschaft gefunden. Darunter ist ein KFZ-Mechatroniker aus dem Irak, ein Augenoptiker aus Afghanistan, drei Absolventinnen einer Berufsfachschule für Hauswirtschaft und Ernährung sowie für Gesundheit und Pflege aus Syrien, zum Teil ganze syrische Familien und aktuell drei Schülerinnen im Alter von 14 bis 20 Jahren aus Syrien. Zwei von ihnen besuchen ein Gymnasium, die dritte möchte im kommenden Schuljahr ins Gymnasium wechseln. Einige der Schülerinnen haben im Rahmen des Laptop-Projekts des Freundeskreises Asyl eigene Rechner erhalten.
Zu Beginn war es ein wenig chaotisch, erzählen die beiden Elektrotechnikingenieure. Bis zu sieben Personen mit Deutschkenntnissen von A1 bis B1 wollten gleichzeitig lernen. Das konnte nicht funktionieren. So trennten sie die Gruppen und machten Stundenpläne, um allen gerecht werden zu können. Inzwischen haben die Schmithuisens einen eigenen Raum in ihrer Wohnung für die Mentees eingerichtet. Die Konzentration sei besser als beim Unterricht zuhause bei den Familien. Seit dem ersten Lockdown im März 2020 arbeiten sie nur über Skype; sie können Dokumente auf dem Bildschirm teilen und mit einem Grafiktablett Notizen machen. „Dies läuft sehr gut“, berichten sie. Allerdings sei seit Corona der Zeitaufwand für das Home-Schooling größer geworden. Da könne es dann auch mal heftig werden, meint Sabine Schmithuisen. Und mitunter geht es auch um die Bewältigung des Alltags oder um die Begleitung in Lebensfragen. Sie unterrichtet derzeit vier bis fünf Mal wöchentlich von 14 bis 17 Uhr. Ihr Mann ist dann nach seinem Arbeitstag von 18 bis 20 Uhr aktiv und hilft seiner Schülerin in Mathe und Wirtschaft. Es gab aber auch Zeiten, in denen sie täglich von 14 bis 20 Uhr und er von 16 bis 20 Uhr tätig war, um acht Mentees betreuen zu können.
Ihre Mentees seien „superneugierig, motiviert und mitunter sehr ehrgeizig“, erzählen die Schmithuisens. Da seien auch schon mal Tränen geflossen, als es „nur“ eine Zwei in Mathe war.
„Es macht auch viel Freude“, ergänzt Ingo Schmithuisen, „diese Menschen zu kennen, ist eine wunderschöne Erfahrung“.

Mehr dazu unter https://fkasyl-ostfildern.de/mentoring-projekt/

 

Gabriele Zeitler

„Ein großer Beweggrund für meine Mitarbeit im Freundeskreis Asyl ist es, ein Statement zu setzen und zu zeigen, dass unsere Gesellschaft nicht ausländerfeindlich ist und Flüchtlinge hier willkommen sind.“ Im Januar 2016 kam Gabriele Zeitler zunächst als Sprachhelferin zum Freundeskreis Asyl, bevor Sie im Juli 2016 die Gesamtkoordination für die Gemeinschaftsunterkunft Schillerschule in Ruit übernommen hat. Sie kümmert sich um die Organisation und darum, dass der Informationsfluss zwischen Helfern, der Stadt Ostfildern und den rund 100 Bewohnern bestmöglich funktioniert. Ein besonderes Augenmerk legt Zeitler bei ihrer Arbeit auch auf die 26 Flüchtlinge unter 21 Jahren, denen sie allen einen Platz in einer VABO-Klasse (Vorbereitungsjahr für Arbeit und Beruf) vermitteln konnte. Von den Männern wird sie gerne „Tante“ genannt, denn für viele ist sie eine wichtige Vetrauensperson, Streitschlichterin und „Ersatz- Mama“, die für die Nöte und Sorgen der Männer ein offenes Ohr hat. In ihrer Freizeit lernt die 53-jährige Sekretärin und 2-fache Mutter erwachsener Kinder selbst arabisch und ist Mitglied im deutsch-arabischen Kulturzirkel Hiwar in Stuttgart. „Die ehrenamtliche Arbeit mit und für die Flüchtlinge bereitet mir sehr viel Freude. Wo sonst kann man so eng mit anderen Kulturen zusammen kommen?“

 

Gertrud Binder
Gertrud Binder gibt Asylbewerbern Deutschunterricht und hat von Beginn an über vier Jahre die Arbeit der Sprachlehrergruppe koordiniert. „Deutsch lesen und schreiben, vor allem sprechen und verstehen zu lernen“, sieht sie als grundlegende Voraussetzung für die Integration. Wichtig ist ihr auch das Lernen in Alltagssituationen.
Hilfreich sind ihre Erfahrungen als Lehrerin an Grund- und Hauptschulen, als Ausbilderin und stellvertretende Seminarleiterin am Lehrerseminar Nürtingen. Diese Erfahrungen vertiefte sie durch ein Studium und die Promotion an der PH Ludwigsburg sowie durch die Beschäftigung mit der Sprachentwicklung von Kindern. Die Arbeit mit Erwachsenen aus anderen Sprachräumen bietet neue Herausforderungen.
Als bereichernd empfindet sie die vielfältigen, aus der Arbeit entstehenden Kontakte zu den Flüchtlingen und den Mitstreitern im Freundeskreis. Im Ruhestand hat sie eine „erfreuliche Menge an selbstbestimmter Zeit“. Es bleibt Raum für ihre drei Kinder und sechs erwachsenen Enkel, für Freunde, für die Kirchengemeinde und für Friedensarbeit, Konzert und Theater.
Kontakt: binder.gertrud@arcor.de